Jenseits der Unberechenbarkeit – Donald Trump „dekodiert“

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André Miede (11/2024)

Der ehemalige und und nun auch wieder nächste Präsident der USA, Donald J. Trump, hat ein spezielles Verhältnis zur Wahrheit und pflegt besondere Formen der Kommunikation und Diplomatie. Viele Menschen empfinden diese als gefährlich und unberechenbar. Warum ist er dennoch so erfolgreich bei seinen zahlreichen Anhängern?

Neben kulturellen und politischen Gründen gibt es noch einen anderen, bisher wenig beachteten Erklärungsansatz: Techniken aus der Verhandlungsführung, Behavioral Economics und Entscheidungstheorie1 ermöglichen es, Trumps Verhalten und seinen Erfolg zu verstehen und ihn damit auch in den kommenden vier Jahren berechenbarer zu machen.

Verhandlungsführung

Einen wichtigen Zugang zu Trumps Verhalten bietet die klassische Kunst der Verhandlungsführung. So empfiehlt der Verhandlungsexperte Matthias Schranner bei Verhandlungen, den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen vorzugeben. Dies passiert, indem beispielsweise die Agenda der zu verhandelnden Punkte gesetzt wird. Dabei werden die eigenen Forderungen klar benannt, es muss „der Fisch auf den Tisch“. So kommt es direkt zu Beginn der Verhandlungen zum Konflikt, was erfahrene Verhandlungsführer positiv bewerten. Genau dieses Vorgehen ist bei Trump immer wieder zu beobachten, seien es innen- oder außenpolitische Forderungen wie der Bau einer Mauer

oder NATO-Beitragszahlungen.

Behavioral Economics 1: Verfügbarkeitsheuristik

Warum Trump so handelt und dies auch zielführend sein kann, hängt mit der sog. „Verfügbarkeitsheuristik“ zusammen, die durch Daniel Kahneman und Amos Tversky untersucht worden ist. Hierbei verwenden Menschen zur Entscheidungsfindung unbewusst eine mentale Abkürzung. Sie verallgemeinern Informationen, an die sie sich leicht erinnern können und messen diesen unabhängig von der Faktenlagen einen hohen Stellenwert bei. Unterstützt wird diese Technik durch:

  • Eine hohe Aktualität, d.h. frischen und neuen Eindrücken im Hirn. Trump erreicht dies durch die fortlaufende Wiederholung seiner Forderungen, wie z.B. dem Bau der Mauer im letzten Wahlkampf.

  • Eine hohe Anschaulichkeit, bei Trump durch eine scheinbar einfache, aber stark visuell geprägte Sprache, wie z.B. Kim Jong-un als „Rocket Man“ zu bezeichnen.

  • Eine hohe Auffälligkeit, bei Trump durch starke Übertreibungen, die oft ans Absurde grenzen oder die schlicht falsch sind. Ein Beispiel ist die Bezeichnung der ehemaligen Pornodarstellerin Stormy Daniels als „Horseface“.

Die Reaktionen unseres Gehirns auf solche Techniken können wir uns leider nicht aussuchen, sie geschehen automatisch. Menschen gehen meist davon aus, dass Personen und Themen, die immer wieder ihre Aufmerksamkeit erhalten, wichtig sind. Durch Trumps immerwährende Verfügbarkeit in den Medien und damit in unseren Köpfen, setzt er die Agenda und bestimmt damit, über welche Themen geredet und verhandelt wird.

Behavioral Economics 2: Priming

An diese Technik knüpft direkt das sog. „Priming“ an. Dies ist das unbewusste Aktivieren einer bestimmten Assoziation durch einen Reiz. Trump nutzt diese Technik sehr häufig, indem er Personen mit abwertenden Spitznamen bezeichnet. Wie bei der Verfügbarkeitsheuristik wird auch dies durch Anschaulichkeit und Auffälligkeit unterstützt, die Beispiele mit „Rocket Man“ und „Horseface“ gelten auch hier. Trump aktiviert so unbewusst die Assoziation mit einem Pferd im Kopf des Lesers, die mit der Person „Stormy Daniels“ verknüpft wird.

Bei politischen Gegnern gehört dies zu Trumps Standardrepertoire, das wohl aktuellste Beispiel dürfte „Comrade Kamala“ sein.

Trump steigert die Wirkung oft auch noch zusätzlich mit Alliterationen, Reimen und (teilweise bösem) Humor. Obwohl ihm auch hier oft die faktische Grundlage fehlt, bleibt etwas am Gegner hängen, beeinflusst die Sichtweise von vielen Menschen und kann auch unbewusst zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Behavioral Economics 3: Anchoring

Zusätzlich wird das Priming in Verhandlungen oft zahlenmäßig als „Anchoring“ eingesetzt, einer in den Raum gestellten Zahl, an der sich Menschen unbewusst orientieren. Diese Technik ist bei Trump häufig zu sehen, indem er sehr hohe Forderungen stellt, wie bei Strafzöllen für deutsche Autohersteller oder den angekündigten 60% Strafzöllen auf chinesische Importe.

Unerfahrene Verhandler neigen dazu, diese Zahlen als Anker für ihre Gegenangebote zu verwenden und entsprechend entgegenzukommen. Trifft man sich zwischen einem vernünftigen Angebot und einer überzogenen Forderung in der Mitte, belohnt man die freche Strategie, was in der Realität leider häufig passiert. US-Verhandlungsexperte Chris Voss betitelte sein Verhandlungsbuch deshalb „Never Split the Difference“, um vor dieser Falle zu warnen.

Die Liste der Techniken ließe sich noch weiter fortsetzen, diese Beispiele sollen aber zunächst als erster Eindruck reichen. Eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Donald Trump kann nur gelingen, indem wir ihn und seine Techniken genau analysieren anstatt ihn nur als „verrückt“ und „unberechenbar“ zu bezeichnen. So können wir ihn berechenbarer machen und zielgerichtet mit ihm während seiner zweiten Amtszeit umgehen.


Anhang

  1. Die Themenbereiche Verhandlungsführung, Entscheidungstheorie, Behavioral Economics sind in Praxis und Forschung seit langer Zeit etabliert. Einen Einstieg und auch die Möglichkeit zur Vertiefung bietet die Leseliste